Große Anfrage: Energiewende in und für Weimar

Anfragen und Anträge, große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, eingereicht am 12.10.2022

12.10.22 –

Anfragen und Anträge, große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, eingereicht  am 12.10.2022

Die Stadtratsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legt nachfolgenden Fragenkatalog vor.

[Große Anfrage als PDF herunterladen] [Antwort der Stadtverwaltung] [Anlage Wärmeverbrauch] [Anlage CO2-Bilanz WWS]

„Wir sind jetzt am Scheideweg“, sagte der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee bei der Präsentation der Ergebnisse des Weltklimarates im April 2022. Die kommenden Monate und Jahre sind entscheidend, da sich das „Fenster der Möglichkeiten für eine Begrenzung der Erderhitzung“ noch in diesem Jahrzehnt schließt. Die Auswertung tausender Studien und Beobachtungen des Klimawandels machen deutlich: Sofortige und tiefgreifende Emissionssenkungen in allen Sektoren müssen umgesetzt und der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 – im Vergleich zu 2019 – halbiert werden.
Was tun? „Es gibt kein Patentrezept zur Lösung des Klimaproblems, aber die Ursache ist klar: die fossilen Brennstoffe", betont Nikki Reich, Direktorin des Energie- und Klimaprogramms am Zentrum für Internationales Umweltrecht (CIEL) in Washington D.C. Energieeinsparung, Energieeffizienz und der massive Ausbau erneuerbarer Energien sind die Kernstücke der Forderungen aller klimawissenschaftlichen Institutionen – der IPCC betont zusätzlich noch, dass die Kosten für erneuerbare Energien seit 2010 um bis zu 85 Prozent gesunken seien.
Die Regierungen weltweit sind daher aufgefordert, die Energiewende mit voller Kraft voranzutreiben. So strebt z. B. die Bundesregierung bis 2035 eine nahezu treibhausgasneutrale Stromerzeugung an. Fortschritt zur  Erreichung dieser Ziele in allen Sektoren (Mobilität, Wärme, Strom, Bauen) ist also das wichtigste Ziel für Regierungen und Parlamente weltweit – und damit sind auch Bürgermeister*innen, Stadtverwaltungen und Stadträte adressiert.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine aber auch die geopolitische Instabilität im Nahen Osten zeigen gleichzeitig, dass Energiesicherheit durch fossile, importierte Energieträger eine Illusion ist. Erneuerbare Energien schaffen also nicht nur saubere, sondern auch sichere Versorgung, indem sie die Abhängigkeit von externen Schocks und Diktaturen reduzieren. Sie bieten die einmalige Chance, vor Ort für Wertschöpfung, stabile Preise und gerechte Gewinnverteilung zu sorgen.
Zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien in allen Rechtsbereichen hat der Deutsche Bundestag mit dem sogenannten „Osterpaket“ beschlossen, im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) den Grundsatz zu verankern, dass die Nutzung erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient.
Die Stadt Weimar und ihre städtischen Unternehmen, die hier ansässigen Firmen und Vereine sowie ihre Einwohner*innen haben den lokalen Handlungsbedarf erkannt – das planerische und administrative Fundament dafür bilden das ISEK Weimar (2011), das Integrierte Klimaschutzkonzept (2011), das kommunale Energiemanagement, das Modernisierungsbündnis u. v. m. Gleichwohl müssen wir heute angesichts der oben skizzierten Krisen feststellen, dass sowohl die formulierten Ziele als auch die bisher ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichend sind. Die Energiekrise, die Klimakrise und die vom Bundestag beschlossenen Ziele sind von einer solch großen Bedeutung, dass sie nach einer schnellstmöglichen, umfassenden und genauen Prüfung und anschließenden Ableitung konkreter Maßnahmen verlangen.
Für die Beantwortung der Fragen dankt die Stadtratsfraktion im Voraus.

Große Anfrage: Energiewende in und für Weimar – Anlage

I. Kommunaler Rahmen

1. Welche Strategie verfolgt die Stadtverwaltung für die Nutzung und Förderung erneuerbarer Energien für Stadt, Stadtverwaltung und städtische Unternehmen?
2. Welche Strategie verfolgt die Stadtverwaltung für die Verbesserung der Energieeffizienz in Verwaltung und städtischen Unternehmen?
3. Ab wann ist mit der Fortschreibung und entsprechender Veröffentlichung des Klimaschutzkonzeptes von 2011 (Strom, Wärme, Kälte) zu rechnen?
4. Welchen Anteil haben der Wärme-, Strom-, und Mobilitätssektor am gesamtstädtischen Energiebedarf bzw. an der Emission von Treibhausgasen? Falls die Frage nicht beantwortet werden kann: Wann wird eine entsprechende Bilanzierung vorgelegt werden können?
5. Wie soll die nötige personelle Ausstattung der Stadtverwaltung im Bereich Klimaschutz, Klimafolgenanpassung und städtisches Energiemanagement gesichert und weiterentwickelt werden, auch mit Blick auf den geplanten Wegfall der Leitung der Stabsstelle Klimaschutz?
6. Verfolgt die Stadtverwaltung das Ansinnen einer CO2-Budgetierung, bei der die für Weimar noch zur Verfügung stehende Emissionsmenge zeitlich und sektoral berechnet wird? Wenn ja, wie hoch war das städtische CO2-Budget zum Jahresbeginn 2022?
7. Inwiefern konnten die im noch gültigen Klimaschutzkonzept prognostizierten Einsparungen der Endenergie (s. Abb.) erreicht werden? Bitte die Energiebilanzen nach Sektoren für 2012, 2015, 2018 und 2021 aufführen.


Abb. 88 aus dem Integrierten Klimaschutzkonzept 2011, S. 146.

8. Wie hoch ist das Potenzial zur Nutzung von Photovoltaik (PV) bzw. Solarthermie auf Immobilien oder Grundstücken der Stadt oder Unternehmen mit städtischer Beteiligung?
9. Welche Energie-Beratungsangebote für Bürger*innen gibt es in Weimar und auf welche Weise könnten diese intensiviert werden?
10. Welchen Kooperationen in Projekten der Energie-, Verkehrs- und Wärmewende gibt es zwischen Unternehmen mit städtischer Beteiligung?
11. Mit welcher Kostensteigerung rechnet die Stadtverwaltung durch den Anstieg der CO2-Bepreisung sowie die Verteuerung fossiler Brennstoffe für die Versorgung kommunaler Liegenschaften mit Strom und Wärme bis 2025? Welche Maßnahmen werden ergriffen, um der Verteuerung entgegen zu steuern?

II. Wärme für Weimar

1. Gemäß Thüringer Klimagesetz werden die Weimarer Stadtwerke bis Ende dieses Jahres ihr Konzept zur dekarbonisierten Fernwärmeversorgung vorlegen müssen. Wie und wann werden Öffentlichkeit bzw. Kund*innen der Stadtwerke über das Konzept informiert?
2. Welche Pläne zur Umsetzung einer kommunalen Wärmeplanung gibt es seitens der Stadt, ggf. unter Zuhilfenahme von Fördermitteln?
3. Welche Maßnahmen ergreift die Stadt Weimar aktuell zur Umsetzung der Wärmewende, beispielsweise im Altbaubereich oder auf Ebene von Quartieren mit Hilfe der Förderung durch das KfW-Programm 432?
4. Welche konkreten Planungen oder Projekte (der Stadt, Stadtwerke und kommunalen Unternehmen) zur Erschließung von Potentialen aus a) Geothermie, b) Solarthermie, c) Biogas, d) industrieller Abwärme und e) Errichtung von Wärmegroßspeichern gibt es aktuell im Stadtgebiet Weimar? Welche weiteren Potentiale in welchen Größenordnungen werden ggf. gesehen?
5. Plant die Stadt Weimar das Anlegen eines Abwärmekatasters mit der Darstellung nutzbarer Abwärmepotentiale und Wärmebedarfe? Wenn ja, wird dabei das vorhandene Tool Energieatlas Thüringen erweitert und auf kommunaler Ebene genutzt, z. B. für die Eintragung eigener Abwärmepotentiale? Wenn nein, warum nicht?
6. Bis wann wird es detaillierte Pläne für alle kommunalen Gebäude zur Dekarbonisierung der jeweiligen Wärmeversorgung geben? Ist in diesem Zusammenhang auch die Umrüstung auf Niedrigtemperaturheizungen ggf. unter Nutzung von Wärmepumpen oder ggf. welcher anderer Maßnahmen geplant?
7. Welche Maßnahmen wurden oder werden wann durch die Stadtwerke oder die Weimarer Wohnstätte ergriffen, um Gas zur Wärmeerzeugung einzusparen, oder besonders effizient zu nutzen, wie eine Senkung der Vorlauftemperatur im Fernwärmenetz? Mit welchen Einspar- oder Effizienzeffekten wird gerechnet?

III. Strom für Weimar

1. Welche konkreten Projekte verfolgten bzw. verfolgen die Stadtverwaltung und Stadtwerke bezüglich des Zubaus von a) Windenergie, b) PV und c) Stromspeichern in den Jahren 2012 bis 2025 jeweils? Welche weiteren konkreten Projekte zur Nutzung erneuerbarer Energien verfolgten bzw. verfolgen Stadtverwaltung und Stadtwerke 2012 bis 2025?
2. Wie viele Batteriespeicher mit welcher Speicherkapazität gibt es im Eigentum der Stadt und ihrer Beteiligungen? Gibt es von Seiten der Stadt oder der Stadtwerke Konzepte zum zukünftigen Speicherbedarf, zum Ausbau von Stromspeichern und der intelligenten Steuerung privater Batteriespeicher?
3. Wie sieht die Strategie der Stadtverwaltung hinsichtlich des Ausbaus von PV über die Etablierung von Agro-PV, Parkplatz-PV, Vertikal-PV und Solardach-Montagepflichten aus?
4. Wann wird die Stadtverwaltung dem „überragenden öffentlichen Interesse“ des Ausbaus der erneuerbaren Energien Rechnung tragen und die Errichtung von PV-Anlagen auf Gebäuden mit Denkmalschutz, in Sanierungsgebieten oder im Ensembleschutz ermöglichen? Wie hoch ist die Anzahl der davon jeweils betroffenen Gebäude?
5. Auf welchen Gebäuden plant die Stadtverwaltung bis 2030 die Errichtung von PV-Anlagen mit jeweils wie viel kWp? Auf welchen Gebäuden ist alternativ eine Verpachtung der Dachflächen geplant?
6. Auf welchen Immobilien der Stadt oder städtischer Beteiligungen sollen keine Anlagen zur Nutzung von PV oder Solarthermie errichtet werden und warum jeweils nicht?
7. Wie steht die Stadtverwaltung zu Balkon-PV-Anlagen, insbesondere in Häusern ihres Tochterunternehmen Weimarer Wohnstätte? Wie bewertet die Stadt Weimar die jüngst in Jena eingeführte kommunale Förderung von Balkon-PV-Anlagen?
8. Jede in Weimar erzeugte kWh Strom, die nicht über das EEG vergütet wird, muss nicht mit Netzgebühren für das Hochspannungsnetz und das Mittelspannungsnetz beaufschlagt werden. Welches Einsparungspotential sehen die Stadtwerke Weimar in der Vermeidung von Netzgebühren durch lokal erzeugten Strom?
9. Welche Zusammenarbeit zwischen der Stadt Weimar und örtlichen Bürgerenergiegenossenschaften gibt es?
10. Planen die Stadtverwaltung bzw. die Stadtwerke oder andere Unternehmen mit städtischer Beteiligung die Errichtung eigener Windkraftanlagen oder die Beteiligung an solchen über die Windkraft Thüringen GmbH & Co. KG hinaus, alternativ auch als Modell mit Beteiligung der Bürgerschaft? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?

IV. Bauen in Weimar

1. Wird die Stadtverwaltung in Zukunft auch Energieeffizienzstandards für alle Bebauungspläne und städtebaulichen Verträge festlegen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?
2. Inwieweit wird die Stadtverwaltung unabhängige Energiekonzepte mit Variantenuntersuchungen in Vorbereitung aller künftigen Bebauungspläne und städtebaulichen Verträge beauftragen bzw. von den Bauauftraggebenden abfordern und den kommunalen Entscheidungsträger*innen als Entscheidungsgrundlage zugänglich machen?
3. Welche Möglichkeiten sieht die Stadtverwaltung für Kommunalsatzungen, die für bestimmte Bereiche des Gemeindegebietes eine autarke Gebäudeversorgung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 23b BauGB mittels erneuerbarer Energien festlegen? Plant die Stadt die Aufstellung solcher Satzungen?
4. Welche Vorgaben zur Nutzung von PV- und Kollektorflächen werden in den nächsten Jahren etabliert, wenn die Stadt Weimar Baurecht schafft?
5. Wie stellt sich die CO2-Bilanz der Gebäude der Weimarer Wohnstätte 1990, 2000, 2010 und 2020 dar? Welche Maßnahmen sind noch erforderlich, um das von der Bundesregierung beschlossene Ziel des klimaneutralen Gebäudebestands bis 2045 zu erfüllen?

V. Energiewende im städtischen Fuhrpark

1. Wann wird die Stadtverwaltung dem Stadtrat ihr Konzept zur vollständigen Umstellung der kommunalen Fahrzeugflotte (Pkw, LKW, Bus, Müllfahrzeug und ggf. weitere Nutzfahrzeuge) auf dekarbonisierte Antriebe (batterieelektrisch mit oder ohne Wasserstoffspeicher) vorstellen?
2. Mit welchem Stromverbrauch rechnet die Stadtverwaltung für die Bereitstellung und Elektrolyse des benötigten Wasserstoffs für den geplanten Betrieb von Bussen und Müllfahrzeugen mit wasserstoffelektrischen Antrieben in Weimar?
3. Wie wird gewährleistet, dass in der Region genügend Wasserstoff für dringende Einsatzgebiete wie der energieintensiven Industrie und der Wärmeversorgung vorhanden ist?

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Referenzen

BRAUN, Stuart (2022): IPCC: Lösungen gegen die Klimakatastrophe. – Online Artikel der Deutschen Welle: www.dw.com/de/ipcc-lösungen-gegen-die-klimakatastrophe/a-61353134 (zuletzt abgerufen am 30.09.2022)


DRUSCHE, Volker (2020): EnergieSynergie – optimiert planen, bauen und sanieren: Synergien nutzen, Kosten sparen, Ressourcen schonen. Edition Recknagel.

IPCC (2011): Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger. In: IPCC Sonderbericht über Erneuerbare Energiequellen und die Minderung des Klimawandels [O. Edenhofer, R. Pichs-Madruga, Y. Sokona, K. Seyboth, P. Matschoss, S. Kadner, T. Zwickel, P. Eickemeier, G. Hansen, S. Schlömer, C. von Stechow (Hrsg.)], Cambridge University Press, Cambridge, Vereinigtes Königreich und New York, NY, USA. Deutsche Übersetzung durch die deutsche IPCC-Koordinierungsstelle, Bonn, 2014. – Online verfügbar unter: www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2019/03/IPCC_SRREN_SPM_Aug2015.pdf (zuletzt abgerufen am 30.09.2022)


JENDRISCHIK, Martin (2022): Wieso Montpellier statt auf Wasserstoff- nun auf Elektro-Busse setzt. – Online-Artikel von Cleanthinking: www.cleanthinking.de/wieso-montpellier-statt-auf-wasserstoff-nun-auf-elektro-busse-setzt/ (zuletzt abgerufen am 30.09.2022)


MÜLLER-JUNG, Joachim (2022): Der Weltklimarat sieht die Politik am Scheideweg. – Online Artikel der F.A.Z.: www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ippc-bericht-weltklimarat-fordert-trendwende-bei-emissionen-17934247.html (zuletzt abgerufen am 30.09.2022)


STADT Weimar (2011): Integriertes Klimaschutzkonzept „Strom, Wärme, Kälte“ der Stadt Weimar. Bearbeitet von Projektträger Jülich. Weimar.
STADT Weimar (2011): Integriertes Stadtentwicklungskonzept „Weimar 2030“. Weimar.

STADT Weimar (o. J.): Kommunales Energiemanagement. – Online verfügbar unter: stadt.weimar.de/umwelt-und-klimaschutz/energie/ (zuletzt abgerufen am 30.09.2022)


UMWELTBUNDESAMT (2022): Wasserstoff – Schlüssel im künftigen Energiesystem. – Online verfügbar unter: www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimaschutz-energiepolitik-in-deutschland/wasserstoff-schluessel-im-kuenftigen-energiesystem (zuletzt abgerufen am 30.09.2022)


ZEITLINGER, Josa (2022): Grün und fair muss er sein. – Online Artikel der taz: taz.de/Kriterien-fuer-nachhaltigen-Wasserstoff/!5852600/ (zuletzt abgerufen am 30.09.2022)

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