Weimar stellt sich der Klimakrise und erhöht das Tempo zur klimaneutralen Stadt

Rede, Stadtratssitzung, 30.10.2019 von Anton Brokow-Loga, Fraktionsmitglied BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Mitglied im Bau- und Umweltausschuss, zur Drucksache 2019/304a/A - Weimar stellt sich der Klimakrise und erhöht das Tempo zur klimaneutralen Stadt - Änderungsantrag zur DS 2019/304/A

04.11.19 –

Rede, Stadtratssitzung, 30.10.2019

von Anton Brokow-Loga, Fraktionsmitglied BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Mitglied im Bau- und Umweltausschuss, zur Drucksache 2019/304a/A - Weimar stellt sich der Klimakrise und erhöht das Tempo zur klimaneutralen Stadt - Änderungsantrag zur DS 2019/304/A

Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, warum treten wir so vehement für den Vorrang des Klimaschutzes in der Weimarer Kommunalpolitik ein?

Zusammen mit der Fraktion Die Linke im Stadtrat haben wir als Grüne den Antrag „Weimar stellt sich der Klimakrise und erhöht das Tempo zur klimaneutralen Stadt“ am 3. Juli 2019 eingebracht. Der mittlerweile geänderte Antrag war schon Thema in Gesprächen zwischen den Fraktionen sowie in mehreren Ausschüssen (BUA, WTA, FIA) – über mehrere Sitzungen und unter teilweise etwas schwierigen Bedingungen. Ich möchte an dieser Stelle nicht auf diese Bedingungen eingehen, denn die über allem stehende Botschaft, die ich von allen demokratischen Parteien vernehmen konnte, lautete: Wir wollen für Klimaschutz einstehen. Gemeinsam.

Mit unserem Antrag fordern wir folgendes:

1. Wir müssen daher den Ernst der Lage erkennen und Emissionen massiv reduzieren. Ziel ist die klimaneutrale Stadt Weimar bis 2030.

2. Die Stadt Weimar muss dafür ab sofort die Auswirkungen auf das Klima bei jeglichen Entscheidungen berücksichtigen. Die Auswirkungen sollen für städtischen Maßnahmen so gering wie möglich sein.

3. Konkrete Maßnahmen sollen mit verschiedenen Beteiligten aus Stadtrat, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft erarbeitet werden – in einer Arbeitsgruppe, die auf Grundlage von Vorschlägen der Stadtverwaltung mehrmals tagen soll und im Januar eine Beschlussvorlage in den Stadtrat einbringen soll. Die ursprünglich im Antrag enthaltenen, konkreten Maßnahmen wurden wegen vielerlei Kritik aus dem Antrag gelöst und sollen in der Arbeitsgruppe verhandelt werden.

4. Die städtischen Beteiligungen – Stadtwerke, Stadtwirtschaft Wohnstätte – sollen in diesem Rahmen klimarelevante Maßnahmen durchführen.

5. und 6. Fortschritte und Schwierigkeiten bei der Reduktion der Emissionen sollen durch den Oberbürgermeister und Stadtrat regelmäßig der Öffentlichkeit mitgeteilt werden.

7. Die Stadt Weimar fordert auf allen politischen Ebenen die Einhaltung des 1,5 Grad -Ziels und arbeitet dabei auch mit anderen Kommunen zusammen.

Lässt sich auf Stadtebene oder hier in Deutschland denn überhaupt etwas verändern?

Als Stadtforscher an der Bauhaus-Universität gehe ich davon aus, dass Städten wie dieser eine „transformative Kraft“ innewohnt (WBGU 2016). Sie sind „Labor und Prototyp“ (Stierand 2016) für eine andere, klimagerechte Gesellschaft: Als Vorreiter für neue Lebensweisen und Technologien kommt ihnen eine große Bedeutung zu – unter anderem was den Verkehr und die Mobilität angeht, einen der entscheidenden Treiber des Klimawandels (22% CO2-Steigerung seit 1990).

Es lohnt sich nicht, die Schuld für den Klimawandel bei anderen zu suchen – wir sind es alle, die Verantwortung tragen, ob in China, den USA oder Europa. Und es hat eine besondere (überregionale) Signalwirkung, wenn in Weimar, dem Paradebeispiel einer „europäischen Stadt“ Klimaschutz die oberste Priorität eingeräumt wird.

Sind konkrete Maßnahmen wichtiger als ein gemeinsames politisches Bekenntnis?

Natürlich lautet die Antwort: Beides ist gleich wichtig und bedingt einander!

Zunächst muss uns klar werden, um was es geht: Laut wissenschaftlichem Dienst des Bundestags stimmen 99,94% der Forscher*innen weltweit darin überein, dass der Klimawandel vom Menschen verursacht wird. (Metastudie von James Powel: 2016; vgl. Antwort der Bundesregierung auf Anfrage im Bundestag: 2019). Als demokratisch verfasste Gesellschaft müssen wir also der Bevölkerung kommunizieren, warum und wie wir auf diese Erkenntnisse reagieren. Und damit auch auf die damit verbundenen Ängste eingehen: Für drei von vier Menschen in Deutschland ist laut einer Umfrage der Klimawandel die primäre Bedrohung (Global Attitudes Survey: 2018). Tendenz steigend.

Dem Klimawandel selbst ist es dabei aber freilich egal, ob wir die derzeitige Situation als „Krise“ bezeichnen, als „strukturelle Veränderung“ oder als „Massenhaftes Aussterben“ – der Klimawandel findet sowieso statt. Mit voller Wucht. Wir müssen uns die Frage stellen: Sollen die Klimawandelanpassungen schon jetzt gestaltet, demokratisch geplant und mit Ordnung umgesetzt werden? Oder – wenn es zu spät ist, unter chaotischen Bedingungen, mit Verteilungskämpfen und möglicherweise autoritären Mitteln? Design – oder Disaster?

Wir müssen als Stadtrat, also als demokratisch legitimiertes Gremium also

a) die Richtung für eine zukünftige, nachhaltige Entwicklung vorgeben – das tun wir mit dem Antrag, der heute und hier zur Abstimmung steht; damit schaffen wir Orientierung für Wirtschaft, Zivilgesellschaft, die Verwaltung.

b) in diese Perspektive/Willensbekundung eingebettet sind konkrete Maßnahmen, die wir gemeinsam erarbeiten müssen. Auf beides kommt es gleichermaßen an.

Sind die Kosten solch eines kommunalpolitischen Klimavorrangs nicht viel zu hoch?

Mitnichten. Es ist nachweisbar, dass sich die Kosten für Klimaschutzmaßnahmen erhöhen, je länger wir warten. Entschiedenes Handeln im Hier und Jetzt führt dazu, dass Weimar gut für die Zukunft gerüstet ist: Ein investierter Euro heute in Klimaschutz, sorgt dafür, dass wir in der Zukunft geringere Ausgaben für Anpassungsmaßnahmen zu erwarten haben. Außerdem haben die mit der Ausrufung des Klimanotstands bzw. des Klimavorrangs einhergehenden Maßnahmen konkrete Effekte für die Umwelt vor Ort.

Und wenn die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandel lokal doch nicht so gravierend sind, wie viele Forscher*innen prognostizieren? Dann haben wir saubere Flüsse, gute Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutzvorkehrungen, Luft zum Atmen, schnellen und preisgünstigen öffentlichen Nahverkehr, regionale Versorgung mit Strom und Nahrungsmitteln. Kurzum: Eine Stadt, in der das gute Leben für alle wirklich wird. Dabei haben wir nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen.

Zum Abschluss sollten wir uns die Frage stellen, was das alles nun mit uns zu tun hat. Ich kann das nur für mich persönlich und vor meinem Gewissen beantworten:

Als Wissenschaftler – bin ich immer für gute Diskussionen, die jedoch auf Fakten und anerkanntem Wissen beruhen: Unite behind the science! Der vom Menschen verursachter Klimawandel ist ein Fakt, um den wir nicht herumkommen. Die Sachstandsberichte des IPCC führen seit 30 Jahren mit höchsten wissenschaftlichen Standards immer deutlichere Belege für die Risiken von verzögertem Klimaschutz und von geringfügigen Maßnahmen zum Umgang mit dem Klimaschutz an.

Als politischer Mensch – möchte ich vom Wissen zum Handeln kommen: Wir tragen Verantwortung für Menschen, die anderswo auf der Welt leben und deren Zuhause verödet oder Opfer des steigenden Meeresspiegels wird. Mit dem Meeresspiegel werden auch die Migrationsgründe steigen. Auch hier und heute, in unmittelbarer Nachbarschaft, machen Wetterextreme insbesondere Bäuerinnen und Bauern zu schaffen.

Als Vater eines einjährigen Kindes – muss ich an die Verantwortung für die zukünftigen Generationen denken, die nicht unter unserer Untätigkeit leiden sollen. Wir alle haben in dieser entscheiden Situation verschiedene Rollen inne, die mit Verantwortung einhergehen. Als Stadtrat sollten wir diese nutzen.

Da in den letzten Wochen deutlich wurde, dass einige Stadträtinnen und Stadträte diesen Antrag weder in den Ausschüssen noch hier im Stadtrat konstruktiv diskutieren wollen, stellen wir diesen zurück.

Vielen Dank.

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Reden | Umwelt