Unser Bericht zur Stadtratssitzung am 17.06.2020

Von Anton Brokow-Loga

Die Ergebnisse in Kurzform:
Weimar verfehlt die eigenen Klimaziele; Kritik am Fehlen ausbleibender Alternativen für die Umleitung des Ilmtalradwegs; Antrag für Verurteilung der LGBTI-feindlichen Haltungen in Weimars Partnerstadt Zamość zurückgestellt, Gespräche zwischen den Partnerstädten zu diesem Thema; Ankündigung: Spielstraßen in Weimar nicht nur temporär ermöglichen; kommunales Konjunkturpaket stärkt Investitionen insbesondere in den Bereichen nachhaltige Mobilität und Umweltschutz.

Der längere Bericht
(Lesezeit 5 Minuten)

Am Mittwoch, 17.06.2020 tagte der Stadtrat der Stadt Weimar zum siebten Mal in dieser Legislaturperiode. Die Sitzung fand aufgrund der noch immer geltenden, Corona-bedingten Abstandsregeln zum wiederholten Mal in der Weimarhalle statt. Zu Beginn der Sitzung gedachten alle Anwesenden mit einer Gedenkminute den Opfern der Ereignisse um den 17. Juni 1953 in der DDR. Anschließend folgte die zweistündige Verlesung der Antworten auf die Einwohner*innenanfragen sowie die Anfrage der Fraktionen. Alle Antworten können hier nachgelesen werden.

In den Antworten auf die Anfragen der Einwohner*innen versteckten sich interessante Neuigkeiten: So wurde in der Anfrage zur Realisierung von Klimaschutzmaßnahmen deutlich, dass Weimar die selbst gesteckten Klimaziele verfehlen wird. Unter Beibehaltung des derzeitigen Reduktionspfades wird die Zielsetzung zur Verminderung der Kohlendioxidemissionen für 2020, die im Klimaschutzkonzept aufgestellt ist, nach aktueller Kalkulation erst 2022 erreicht. Besonders im Bereich des Wärme- und Stromverbrauchs zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre eine stagnierende, wenn nicht sogar gegenläufige Tendenz: Das Einsparungsziel im Bereich des Wärmeverbrauchs lag bei -30% für 2020 – stattdessen legte dieser Wert um fast 20% zu! Hier wurde deutlich, dass ein holistischer, an die Wurzel gehender Ansatz für ausreichenden Klimaschutz vonnöten ist.

Außerdem ging es in den Einwohner*innenanfragen um Wasserspender (Nein, es sind keine öffentlichen Wasserspender geplant, obwohl sich dadurch laut Verwaltung viele Einwegwasserflaschen einsparen ließen), um die Anfragemöglichkeit selbst (Ja, der oder die Fragesteller*in wird weiter zur Beantwortung der Fragen persönlich erscheinen müssen), die Verkehrsplanung (Nein, Verkehrsberuhigungen erreichen wir nicht durch Ortsumfahrungen, sondern durch Umstellung des Mobilitätsverhaltens) sowie um Hochzeiten während der Corona-Schutzmaßnahmen (obgleich die betreffende Hochzeit zum Zeitpunkt der Beantwortung schon vergangen war).

Auch die Antworten auf die Fragen der Fraktionen brachten einige Neuigkeiten zutage: So wurde deutlich, dass in den letzten Jahren in Weimar mehr Gewerbe ab- als angemeldet wurden. Ein Trend, der sich womöglich durch Corona fortsetzen wird. Apropos Corona: Mehr als 80 Bußgeldbescheide wurden aufgrund von Verstößen gegen Kontaktbeschränkungen erlassen und in den Monaten März und April 2020 für mehr als 7 000 Personen in Weimar Kurzarbeit angezeigt. Das Wohnheim für Sinnesbehinderte wird nun doch weiter betrieben: Die Lebenshilfe wird voraussichtlich einen Erbpachtvertrag mit der Stadt abschließen. Ein Tiefpunkt der „Vorlesestunde“ war diese Frage aus den Reihen der FDP-Piraten: „Lässt sich schätzen, welche Mengen an klimaschädlichen Emissionen aus illegalem Sprayen in Weimar jährlich frei werden?“ Nein, so die Verwaltung trocken bis heiter: „Eine derartige Abschätzung kann nicht gegeben werden. Das Sprayen an sich ist ja illegal und die Stadt hat keinerlei Informationen zu Menge und Art der verwendeten Sprays. Um Emissionen klimaschädlicher Gase abzuschätzen müsste die Stadt aber die Mengen und die Zusammensetzung der eingesetzten Sprays kennen.“ Wir sind gespannt, ob dazu noch eine Umfrage unter Sprayer*innen durchgeführt wird.

Eine Debatte lösten unsere Nachfragen zur Umleitung des Radverkehrs auf dem Ilmradweg in Folge des Baus des Rückhaltebeckens aus. Die ausgebliebene Information und Partizipation der Öffentlichkeit an einem jahrelangem Planungsprozess wird für die Verwaltung zu einem „Missverständnis“. Ausweichstrecken sind anscheinend viele abgewogen worden: Für die Zeit bis voraussichtlich Frühjahr 2021 soll die Wegeführung über die Tiefurter Allee laufen, danach und bis zur Fertigstellung 2023 würde die Wegeführung über die Rosenthalstraße als Option geprüft. Eine Brücke über die Ilm könne laut Verwaltung nicht realisiert werden. Mitglieder unserer Fraktion und der Ortteilbürgermeister von Tiefurt kritisierten das Vorgehen der Verwaltung in dieser Sache scharf.

Vorgesehen waren drei Fragerunden, tatsächlich mussten wir jedoch aus Zeitgründen bereits nach einer Runde abbrechen und den Rest der Antworten schriftlich erwarten bzw. auf die nächste Sitzung verschieben. Nachdem mit knapper Mehrheit in zwei Wahlgängen verhindert werden konnte, dass ein AfD-Mitglied in den Jugendhilfeausschuss gewählt wird, wurde der SPD-Antrag zur Verbesserung der Zugänglichkeit der Ilm nach langwährenden Diskussionen in den Ausschüssen vom Oberbürgermeister übernommen.

Der bündnisgrüne Antrag, Diskriminierungen von LGBTI-Menschen im Umland der Weimarer Partnerstadt Zamość zu verurteilen, führte bereits im Vorfeld zu einigen Diskussionen, einem offenen Brief von Vereinen und Kulturinstitutionen Weimars – und letztlich auch bereits zum Handeln von Oberbürgermeister Kleine. So berichtete er von Gespräch und Korrespondenz mit dem Stadtpräsidenten von Zamość, in denen dieser ihm versichert habe, dass es zu keinen LGBTI-feindlichen Beschlüssen der Stadt gekommen sei und er für diese Ausgrenzungen auch kein Verständnis habe. Beide Städte könnten ihre Zusammenarbeit mit verschiedenen Projekten vertiefen. So weit, so gut? Nunja, in dem Antwortschreiben benutzt der Stadtpräsident selbst mehrfach den Begriff LGBTI-„Ideologie“ und macht damit deutlich, dass er sich dem menschen- und toleranzfeindlichen gesellschaftlichen Klima in Polen zumindest nicht widersetzt. Und in diesem Sinn hat auch der Stadtrat von Zamość – und nicht nur der die Stadt umgebende Landkreis – durchaus Beschlüsse gefällt, die sexuelle Minderheiten nicht vor den zunehmenden Angriffen durch rechtsnational-erzkonservative Kreise schützt. Wir als antragstellende Fraktion haben den Antrag vorerst zurückgestellt, da der Antrag im Weimarer Stadtrat wohl keine Mehrheit gefunden hätte, wir die Situation in unserer Partnerstadt aber in dieser Hinsicht noch immer unerträglich finden. Diese Perspektive teilten auch die zu Beginn der Sitzung vor der Weimarhalle protestierenden Personen.

Mit drei Drucksachen wollten wir Impulse für eine ökologische und solidarische Ausgestaltung der Corona-Krise geben. Wir haben uns jedoch dazu entschieden, diese Anträge allesamt zurückzuziehen: Einerseits wurden große Teile der Anträge schon von der Stadtverwaltung umgesetzt, wie im Fall des Antrags „Weimarer Wirtschaft in der Krise entschlossen unterstützen“. Andererseits bestand kaum eine nennenswerte Chance, dass die anderen Fraktionen unser Ansinnen unterstützen würden, wie im Fall des Antrags „Gesunde und umweltfreundliche Mobilität fördern - Temporäre Fahrradstraßen einrichten“. Unser erklärtes Ziel bleibt es jedoch, auch jenseits der Corona-bedingten Maßnahmen, mehr Raum für die Kinder und Jugendliche der Stadt zu schaffen – daher haben wir eine Weiterentwicklung unseres Antrags „Mehr Abstand ermöglichen - temporäre Spielstraßen in Weimar einrichten“ angekündigt, indem eine Einrichtung dieser nicht mehr temporär begrenzt sein soll. Die Vielzahl zivilgesellschaftlicher Initiativen, die sich für eine sozial-ökologische Verkehrswende einsetzen, gibt uns dabei recht.

Die Vorschläge für die Wahl der ehrenamtlichen Richter*innen in der Thüringer Verwaltungsgerichtsbarkeit wurden mit der nötigen Zweidrittelmehrheit vom Stadtrat bestätigt. Wir freuen uns, dass durch die Vorschläge der Grünen Stadtratsfraktion das deutliche Ungleichgewicht zwischen der Anzahl vorgeschlagener Männer und Frauen immerhin etwas ausgeglichen werden konnte.

Spannend wurde es noch einmal beim „Investiven Weimarer Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“, das alle demokratischen Fraktionen mit dem Oberbürgermeister im Vorfeld verhandelten. Die Mittel in Höhe von rund 3,5 Millionen Euro stammen aus dem Kommunalpaket der Thüringer Landesregierung. Alle Fraktionen begrüßten den investiven Einsatz der Mittel. Aus unserer Sicht besonders erfreulich ist der Fakt, dass aufgrund der Vorschläge unserer Fraktion besonders Maßnahmen aus den Bereichen Klimaschutz und nachhaltige Mobilität aufgenommen wurden: Mittel für mehr Bäume, bienenfreundliche Wiesen, Bänke und Fahrradabstellanlagen, Fortschreibung des Klimaschutzkonzeptes sowie die Erweiterung der Katzenstation. Auch die kurzfristige Ertüchtigung einer Radwegsumleitung an der Hundewiese ist nach unserem Vorschlag nun Bestandteil des Konjunkturpakets. In jedem Fall war auch die fraktionsübergreifende Herangehensweise gegenüber dem konfrontativen Vorgehen in der Haushaltsdebatte sehr begrüßenswert.

Alle weiteren Anträge, zum Beispiel zu einem Familien-, Senioren- und Sozialpass, Maßnahmen gegen Graffiti, Konzept für die Steigerung des Naherholungswerts Weimars wurden in die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Dazu gehört auch unser Antrag, die Ausrichtung des Zwiebelmarkts 2020 auf Regionalität und das Wohl der ansässigen Gewerbetreibenden zu fokussieren.

Nach fast vier Stunden fand die siebte Stadtratssitzung um 21.30 Uhr ihr wohlverdientes Ende. Auch wenn es derzeit so scheint, als wenn Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit für viele andere durch die finanziellen Auswirkungen der derzeitigen Krise noch weniger Stellenwert bekommen: Wir bleiben dran.

Für die Fraktion: Anton Brokow-Loga