Unser Bericht zur Stadtratssitzung am 15.07.2020

Von Bärbel Fiedler

Auch die 8. Stadtratssitzung dieser Legislatur fand noch einmal in der Weimarhalle statt, dauerte gut dreieinhalb Stunden und hatte demnach auch wieder eine sehr volle Tagesordnung (woran zugegebenermaßen wir auch nicht ganz unschuldig waren). Los ging es mit einer Einwohner*innenanfrage und elf Anfragen der Fraktionen, die mündlich beantwortet wurden:

Die kritische Bürgerinnen-Nachfrage zum Klimaschutzkonzept ergab u. a., dass die geplante Fortschreibung (diesmal ja mit Beirat!) dazu diene, einen konkreten Maßnahmenkatalog unter Beteiligung der städtischen Ämter zu erstellen. Dieser sei im ursprünglichen Konzept noch nicht enthalten gewesen. Außerdem wurden wir darüber belehrt, dass nicht nur die Stadt, sondern jede Bürger*in etwas für den Klimaschutz tun müsse! Hört, hört! Die Investitionen von über 600.000 Euro in 2020 führen zur Einsparung von ca. 130 t CO2, in 2021 soll ca. 3mal soviel investiert werden, wodurch eine etwa 30fach höhere CO2-Einsparung erwartbar ist (3030 t).

Unter den 11 weiteren Anfragen waren auch unsere vier bezüglich einer geplanten und dann offenbar wieder gestrichenen Pflegetoilette für Weimar im Haus der Demokratie (demnächst soll es überhaupt erstmal ein Konzept zur Ertüchtigung öffentlicher Toiletten geben), zum Flächenverkauf „Im Merketal“ (hier wurde uns der Abschluß eines Städtebaulichen Vertrags zugesichert, der die Verfahrenshoheit und Entscheidungsfreiheit der Stadt sichert, sowie den Verfahrensweg zur Erlangung eines qualitätvollen Städtebaulichen Konzepts regelt: Da müssen wir also dran bleiben!) und unsere Nachfrage zum Stand unseres Antrags 1000 Bänke für Weimar aus 2019 (viele „alte“ Standorte sind verwaist, neue sind offenbar schwer zu finden, hier sollen auch die Ortsteilräte noch einbezogen werden, insgesamt eine unbefriedigende Bilanz nach fast einem Jahr). Ja, und schließlich war da noch unsere Anfrage zum Stand der Renaturierungsmaßnahmen auf dem ehem. EOW-Gelände. Und weil uns dieses Thema (s. u.) noch eine Weile beschäftigen wird, hier mal die komplette Anfrage nebst Antwort (findet sich natürlich auch immer alles im Ratsinfosystem zum Nachlesen):

Das Gelände des ehemaligen EOW wurde 1992 für ca. 7,6 Millionen DM von der Stadt erworben. Im Flächennutzungsplan ist es als „Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft" ausgewiesen. Viele wasser- und naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen wurden in das Gebiet geleitet, mit dem Ziel eine durchgängige Grünfläche zwischen den Pferdewiesen und der Insel in der Ilm zu schaffen. In diesem Rahmen wurde u. a. die Safranwiese wiederhergestellt und eine der vier Hallen abgerissen. Das Gelände ist für den Hochwasserschutz von Weimars Innenstadt von größter Bedeutung. Durch Renaturierungen sollen unter anderem die großflächigen Verfüllungen, die im Rahmen des Baus des Interhotels (heute Leonardo) an der Belvederer Allee in den 1980er Jahren durchgeführt wurden, rückgängig gemacht werden, um Stauraum für Wasser während Hochwasserereignissen zu schaffen.

Frage 1: Wieviel Geld bzw. Leistungen in welchem Wert im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen sind seit 1992 in das Gebiet geflossen?
Antwort: Die Anfrage hat ihren Ausgang vermutlich in dem kürzlich dem Bau- und Umweltausschuss vorgestellten Vorhaben der Stadtverwaltung, für das unmittelbar am Steinbrückenweg gelegene Hauptgebäude, genannt „Alte Villa“, im ehemaligen EOW-Gelände eine Nachnutzung zu ermöglichen. Deshalb sei klarstellend betont, dass durch die zur Diskussion stehende Nachnutzung dieses Gebäudes die bislang auf das EOW-Gelände geleiteten Ausgleichsmaßnahmen nicht berührt werden. In Bezug auf die einzelnen im EOW-Gelände bereits umgesetzten Ausgleichsmaßnahmen wird grundsätzlich auf die Antwort zur Stadtratsanfrage 2019-113-F der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verwiesen. Zusätzlich zu den dort bereits genannten Maßnahmen erfolgte im Jahr 2019 ein weiterer Abtrag der noch auf die Errichtung des Interhotels zurückgehenden Aufschüttungsfl.che als Kompensationsmaßnahme im Rahmen des Bebauungsplanes VB-MERK 05 „Zwischen Albert-Kuntz-Straße und Ziegeleiweg“. Im Rahmen des Neubaus des Regenüberlaufbeckens an der Hundewiese durch den Eigenbetrieb Kommunalservice der Stadt Weimar ist als Ausgleichsmaßnahme der Abbruch der süd.stlichen Halle vorgesehen.

Frage 2: Wie bewertet die Stadt derzeit das Gelände als Preis in €/m2, soweit möglich getrennt nach bebauten bzw. unbebauten Grundstücken?
Antwort: Die Bewertung des Geländes kann nur durch ein Verkehrswertgutachten erfolgen. Grundlage für die Bewertung wird ein abgestimmtes Konzept einschließlich der rechtlichen, tatsächlichen und im Kaufvertrag festgelegten Nutzungsmöglichkeiten und Einschränkungen sein.

Frage 3: Wann rechnet die Stadt damit, dass die Verfüllungen bzw. die Gebäude komplett beseitigt sein könnten, welche Kosten würden dabei entstehen?
Antwort: Zu den Abbruchkosten der EOW-Hallen können ohne eingehende Prüfung keine belastbaren Aussagen treffen. Flächen und Kubaturen müssten ermittelt werden, eine etwaige Schadstoffbelastungen müsste bewertet werden. Abbruchkosten liegen erfahrungsgemäß zwischen 25 und 90 € pro m3. Diese Spanne ist zu weit, um für das genannte Objekt präzise Kostenprognosen zu machen. Als Anhaltspunkt mag die erste Kostenschätzung für den vom Kommunalservice für 2023 geplanten Abriss einer Halle dienen; diese liegt bei rd. 500 T€.

Frage 4: Welchen Stauraum für Hochwasser gibt es heute auf der Fläche, welcher Stauraum wird am Ende der bisher geplanten Maßnahmen wie Flutmulden vorhanden sein?
Antwort: Im Hochwasserschutz spielen zwei Aspekte eine wesentliche Rolle: die Schaffung von Retensionsraum und die Beseitigung von Abflusshindernissen. Retentionsraum ermöglicht die Ausbreitung des Wassers, verlangsamt die Flutwelle und reduziert den Anstieg des Hochwasserpegels. Die Beseitigung von Abflusshindernissen, wie zum Beispiel von Bauwerken, verhindert eine Rückstauwelle und den damit einhergehenden Anstieg des Hochwasserpegels. Die im Bereich des EOW-Geländes geplanten Flutmulden werden eine Fläche von ca. 7.000 m3 haben. Unter Berücksichtigung der Böschungen wird sich nach der Planung ein zusätzlicher Retensionsraum von rd. 2.300 m3 ergeben. Würden alle auf dem Gelände noch befindlichen Gebäude (3 Hallen, Südlicher Garagenkomplex, Hauptgebäude „Alte Villa“, Gebäude an der Straße mit Büro des Ortsteilbürgermeisters) abgerissen werden, so ergebe das einen weiteren Retentionsraum von ca. 5.500 m3. Das Gebäude, welches die „Alte Villa“ genannt wird, hat daran einen Anteil von ca. 1.000 m3.

Zwei weitere Anfragen hatten wir uns schriftlich beantworten lassen: 1. die zu den wichtigen Frisch- und Kaltluftschneisen für Weimar und was von der Stadt für ihren Erhalt getan wird (Zitat aus der Antwort: „Die Sicherung der Frischluftschneisen erfolgt auch weiterhin durch Freihaltung der bisher unbebauten Bereiche.“), sowie 2. unsere Nachfrage zum Stand der Entwicklung eines Gedenkortes zur Deportation Thüringer Juden am Standort der ehemaligen Viehauktionshalle: Hier geht es erst weiter mit der Umsetzung des gekürten Entwurfs, wenn, so der Plan, auch ein würdiges Umfeld vorhanden ist ...

Weiterhin standen nun noch über 30 Beschlussanträge auf der TO, etliche davon wurden nach Einbringungsreden wie immer zunächst zur Beratung in die Ausschüsse verwiesen. Von unseren Anträgen waren dies derjenige zu Mehr Stadtgrün und zu Trinkwasserspendern, die nach knackigen Vorstellungen von Anton bzw. Jan jeweils in den Bau- und Umweltausschuß, den Finanzausschuß und den Wirtschafts- und Tourismusausschuß verwiesen wurden.

U. a. eine Drucksache des OB stand aber letztlich immer noch zur Abstimmung, somit war für uns die spannendste Frage an diesem Abend: wird der OB seinen hahnebüchenen Beschlussantrag DS 193 zum Verkauf des ehemaligen EOW-Geländes durchdrücken oder hat ihn unser kritisches Nachfragen in jedem sich bietenden Ausschuss im Vorfeld der SR-Sitzung mit dem Hinweis auf eine immer noch gültige Beschlusslage von 1992, die die Renaturierung des Geländes vorsieht, mindestens aber nach jüngster, durch uns erwirkter Beschlusslage einer Ausschreibung mit Konzeptvergabe, zum Umdenken bewegt und er zieht die Drucksache doch noch zurück?

Doch zunächst ging es noch einmal um die unbefriedigende Eintrittskartenerwerbungssituation im Schwanseebad: Der OB begründete die diesbezügliche allseits bekannte paypal-Peinlichkeit mit der anfänglichen Unsicherheit, „was überhaupt gehe“. Mittlerweile könne man ja aber auch mit Kreditkarte zahlen – wir sehen das nicht wirklich als Fortschritt! Die nachgereichte Auskunft von Stadtwirtschaftsgeschäftsführer Harz zeigte wieder einmal: wo kein Wille ist, ist auch kein Weg – das Lastschriftverfahren zum Ticketkauf wird nicht eingeführt werden. Immerhin gibt es jetzt die Möglichkeit, in den Randstunden morgens und abends (allerdings den vollen Drei-Stunden-Preis) doch am Kassenautomaten zu entrichten und die Berechtigung für ein Familienticket für Alleinerziehende mit mehr als zwei Kindern wird immerhin auch erwogen. Mühsam nährt sich das Eichhörnchen ...

Unseren Antrag zur Gewinnausschüttung Sparkasse Mittelthüringen brachte Andreas ein und machte erneut deutlich, dass es problemlos möglich wäre, über die Verteilung eines Teils der Gewinne der Sparkasse (Nein, wir wollen sie nicht auf unverantwortliche Weise ausbluten!) demokratisch, nämlich im Stadtrat, zu entscheiden. Und obgleich der zweite Teil unseres Antrags wortgleich mit einem in der Vergangenheit gestellten der weimarwerk-Fraktion war, war uns schon in den Ausschüssen klar geworden, dass an diese „Heilige Kuh“ immer noch niemand ran will, auch ww nicht mehr. Daher wurde der Antrag von uns nicht zur Abstimmung gebracht, sondern erst einmal zurückgestellt.

Unseren Antrag für einen Zwiebelmarkt 2020 historisch & regional – aus der Region und für die Stadt erklärte Anton mit Blick auf die ebenfalls auf der TO zur Abstimmung befindliche für 2020 geänderte Zwiebelmarktsatzung für erledigt, denn diese enthält beinahe alle unsere Vorschläge. Er betonte die Notwendigkeit, dass der vom OB beim Land beantragte verkaufsoffene Sonntag auch tatsächlich bewilligt würde.

Zu unserem Beschlussantrag DS 162 muss unbedingt erwähnt werden: Nur Dank des Einsatzes von uns Grünen samt Vorstand und Fraktion in den letzten Wochen, hatte das Thema Ilmtalradweg bis zur Stadtratssitzung so viel Öffentlichkeit erfahren und so viel Druck auf Stadtspitze und den Bauherrn, Kommunalservice Weimar, ausgeübt, dass zum Zeitpunkt der Sitzung eine modifizierte Übernahme unseres Antrags erfolgte, die Andreas aber trotzdem noch mit einer kritischen Einbringungsrede garnierte. Denn trotz allem war die zu diesem Zeitpunkt erkämpfte Variante der Wegeführung noch nicht die sichere Lösung, die wir nach wie vor für richtig, notwendig und machbar halten und außerdem müssen wir auch einige Monate darauf warten.

Und zum guten Schluß noch mal zurück zu unserem Topthema EOW-Gelände: Was bisher geschah - in chronologischer Reihenfolge:

  1. s. o. unsere Anfrage nebst Antworten
  2. DS 186 der Fraktion DIE LINKE: Beginn einer Konzeptvergabe des EOW-Geländes (kein besonders gelungener Antrag, suggeriert er doch die prinzipielle Möglichkeit einer Bebauung)
  3. DS 193 des OB: Grundsatzbeschluss – Verkauf ehemaliges EOW-Geländes
  4. Der OB tingelt mit den potentiellen Kaufinteressenten durch die Ausschüsse und läßt diese ihr wenig überzeugendes Konzept vorstellen, bevor überhaupt sein Antrag allen Rät*innen zugänglich war. Sein ebensowenig überzeugendes Mantra dazu: Dann gäbe es wenigstens ein bisschen Hochwasserschutz und das sei besser als nichts.
  5. Auf der TO zur Stadtratssitzung steht interessanterweise dann die DS 193 vor der DS 186, die sonst hierfür maßgebliche Reihenfolge der Einreichung sträflich missachtend. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.
  6. Unser Erfolg: der OB zieht seinen Antrag zurück, die LINKE tut dies auch, aber das Ganze soll im September wieder auf die Tagesordnung.

Wir setzen uns weiterhin für den geregelten Rückbau des gesamten ehemaligen EOW-Geländes ein. Es gilt zu verhindern, dass dieses Gelände zu einem weiteren Beispiel dafür wird, wie Stadtentwicklung nicht aussehen soll!

Aber trotzdem machen auch wir jetzt alle erstmal ein bisschen Sommerpause.

Habt eine gute Zeit und bleibt gesund!

Für die Fraktion: Bärbel Fiedler