NSA, BND & Co. - Eine Bedrohung für demokratische Gesellschaften?

Veranstaltung am 25. August 2015 in Weimar

Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linken, und Konstantin von Notz, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/DIE GRÜNEN waren in Weimar, um über ihre Erfahrungen aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages zu berichten. Eingeladen zu dieser Kooperationsveranstaltung hatten Grüne Jugend Thüringen, Linksjugend [solid’] Thüringen, DIE LINKE. Apolda/Weimar, Bündnis 90/DIE GRÜNEN Weimar, und die Abgeordnetenbüros von Sabine Berninger, MdL, Bad Berka, sowie Astrid Rothe-Beinlich, MdL, Weimar. Trotz großer vor allem kultureller Veranstaltungskonkurrenz in der Stadt kamen gut 30 Gäste zu der Veranstaltung im mon ami am Abend des 25. August. Man begab sich tief hinein in Geheimdienstsphären mit einer teilweise ganz eigenen Sprache und Begrifflichkeit.

Bei einem Verhältnis von Regierung zu Opposition im Bundestag von 83 % zu 17 % ist auch die Arbeit in einem Untersuchungsausschuss nicht leicht, zumal wenn die Vertreter insbesondere einer Regierungsfraktion nur darauf aus sind, möglichst wenige Ergebnisse zu erzielen. So stünden 8 Minuten Fragezeit der Opposition 26 Minuten allein der CDU gegenüber, die eben eigentlich nichts fragen wollten. Derzeit ist die Arbeit vor allem durch den Streit um die sog. Selektorenliste bestimmt.
Ca. 8,5 Millionen Begriffe (darunter auch z.B. IP- oder E-Mail-Adressen) wurden durch die National Security Agency (NSA) an den BND geliefert, die Liste wird täglich erneuert. Nach diesen Begriffen (den Selektoren) wird der Datenverkehr, der in bzw. über Deutschland läuft, durchsucht. In Frankfurt am Main befindet sich der wohl größte Datenknotenpunkt Europas, betrieben von der Telekom. Diesen Knoten konnte der BND nach deutschem Recht anzapfen, die NSA durfte das nicht. Der BND hat also für die NSA den Datenabgriff vorgenommen, mit amerikanischer Technik.
Erst durch Edward Snowden wurden diese Aktivitäten aufgedeckt, allerdings soll das Abfischen des Datenverkehrs bereits seit 2001 laufen. Schon der Zeitpunkt des Abgreifens ist ungeklärt: Erfolgt das Durchforsten erst nach Überspielung beim BND oder wird schon vorher, direkt nach dem Abgriff aus den Kabeln, etwas zur NSA geschickt und wenn ja, was?

Unter den Selektoren sollen auch ca. 2000 von "islamistischen Störern" sein. Woraus besteht der Rest? Die beiden Abgeordneten gehen fest davon aus, dass dies der BND auch nicht vollständig weiß. Im Gegenteil gelten über 90% der Selektoren beim BND als nicht identifiziert. Ca. 40.000 hat der BND als rechtswidrig nach deutschem Recht aussortiert. Hier muß wohl von offensichtlicher Spionage oder Wirtschaftsspionage ausgegangen werden. Renner und von Notz berichteten, daß sowohl die Telekom als auch z.B. der Flugzeugbauer EADS oder Siemens betroffen wären. Diese Liste der Aussortierungen ist überhaupt erst auf einen Beweisantrag der Opposition im Bundestag erstellt worden. Sie liegt seitdem unter Verschluß im Bundeskanzleramt. Weil damit die parlamentarischen Rechte beschnitten worden sind, werden Linke und Grüne vor dem Bundesverfassungsgericht in Kürze eine Klage einreichen, um wenigstens diese Liste mit den aussortierten Begriffen (darunter deutsche BürgerInnen, Unternehmen, deutsche und europäische Behörden) zu bekommen. Es ist eben genau die Aufgabe des Untersuchungsausschusses (UA), die Rechtswidrigkeit der Aktivitäten des BND zu klären - wenn aber Beweismittel zurückgehalten werden, wie soll das dann gehen?
Offenbar bekommt u.a. auch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages, also der geheim tagende Geheimdienstkontrollausschuss, die Papiere nicht zu sehen - wie soll dann Kontrolle möglich sein?

Warum die Selektorenliste vom Bundeskanzleramt blockiert würde, war eine Frage aus dem Publikum. Es gäbe offenbar Verträge und Vereinbarungen zwischen den Geheimdiensten, teilweise aus den sechziger Jahren. Aber selbst diese Papiere, auf die sich berufen wird, sind geheim - und damit nicht nachprüfbar. Klar ist aber: Diese stehen nicht über dem deutschen Recht. Konstantin von Notz hielt fest: Die Bundesregierung könnte, wenn sie wollte, alles veröffentlichen, sie will aber nicht. Wenn das Bundeskanzleramt wollte, das es anders läuft, würde es anders laufen. Man würde dies deswegen nicht herausgeben, weil ein Skandal drinstecken dürfte aufgrund mangelnder Rechtsgrundlage für die Überwachung.
Ca. 2004 meinte von Notz, müsse im Bundeskanzleramt ein Paradigmenwechsel stattgefunden haben. Man wusste schon, das die Aktionen nicht rechtmässig waren, verzichtete nun aber auf die Anpassung der Rechtsgrundlagen und handelte einfach weiter im Wissen, dass es nicht raus kommt. Und das schon seit 15 Jahren. Um den Verfassungsbruch zu decken, habe man ein Lügengebilde aufgebaut, und die USA letztlich vorgeschoben. Nun haben Journalisten nachgefragt bei den Amerikanern - die wären "not amused" über eine Veröffentlichung, aber es wäre möglich - es gab keine "Anweisung" aus Washington.
Entsprechend verhält sich auch der BND, die würden sehr forsch auftreten. Man sei sich der völligen Rückendeckung von Frau Merkel sicher. Anders könne man nicht erklären, daß jüngst eine Erhöhung der Haushaltsmittel beantragt wurde. Gern wird, wie jüngst bei der netzpolitik.org-Affäre, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vorgeschickt.
Das eigentliche Ziel der Anzeige des Verfassungsschutzes gegen die Journalisten von netzpolitik.org waren offenbar deren Informanden, die man bei Abgeordneten vermutete (zwei waren gerade anwesend), obwohl zahlreiche Beamte und Geheimdienstler Zugang zu den Papieren hätten.

Welche Folgen denn das Belügen des UA hätte, wollte ein Zuhörer wissen? Es sei strafbewehrt, ja, stellte Jurist von Notz klar. Aber im Gegensetz zu anderen Ländern vglw. gering. "Vor einem amerikanischen Senatsausschuß würde sich keiner zu lügen trauen". In Deutschland seien die Werkzeuge eines UA eher stumpf. Martina Renner wusste von erschütternden Aussagen der Zeugen zu berichten. Erinnerungsfähigkeit, hoher Krankenstand bis hin zu "ich kann es ihnen nicht sagen" (Aussage eines Operationsleiters), weil man selber die Tragweite seiner eigenen Entscheidungen nicht überblicken konnte. Man hoffe aber immer noch auf z.B. einen Whistleblower aus den Reihen der deutschen Geheimdienste.
Das die Zeugen aus dem Geheimdienstbereich sich das leisten können, liegt auch wesentlich am fehlenden Korrektiv - einer kritischen Öffentlichkeit, die sei viel zu klein. Zwar berichteten viele, insbesondere auch große Medien regelmäßig aus dem UA, es fehlt aber der öffentliche Druck, z.B. könnten bei den Freiheit statt Angst-Demonstrationen viel mehr Teilnehmende sein.

Deutschland ist das einzige Land mit einem solchen Untersuchungsausschuss - warum eigentlich? Frankreich oder Spanien zum Beispiel seien doch genauso betroffen. In Österreich laufen eine Initiative zur Aufklörung an. Die meisten Schlussfolgerungen (nach Snowden) hätte es in den USA gegeben. Auch auf Druck zivilgesellschaftlicher Initiativen gab es hier Einschränkungen der Befugnisse der Geheimdienste.
Allerdings, das räumten beide Abgeordneten ein, habe auch die politische Kontrolle versagt, dies gelte interfraktionell. Man habe nun ein anderes Selbstverstädnnis des Parlamentes ggü. den Diensten und den Behörden.

Konstantin von Notz räumte auch mit Mythen auf: Der deutsche Auslandsgeheimdienst - der Bundesnachrichtendienst (BND) spielt voll mit. Der UA untersucht den Zeitraum seit 2001. Man kann davon ausgehen, daß in der Anfangszeit der BND tatsächlich technisch abgehängt war und die Technik von NSA und GSHQ geliefert bekam, das sei jetzt anders. Zwei Punkte seien aus dem UA völlig klar geworden: Der BND sei auch nicht der "kleine Trottel der NSA", der tolpatschig in etwas reingerutscht sei. Und die NSA arbeite auch ausserhalb der Kooperation mit dem BND in Deutschland. Fakt sei aber auch: Die Geheimdienste arbeiten im Verbund, sie tauschen viele Daten aus.

Worin eigentlich der angebliche Landesverrat von netzpolitik.org bestanden hätte? Sie veröffentlichten, daß beim Verfassungsschutz 70 neue Stellen geschaffen werden sollten. Dies sollte geheim bleiben, denn die Stellen sollten sich mit der Auswertung von Big Data befassen und ebenjene Tools einsetzen, die durch Snowdens Veröffentlichung bekannt geworden waren. Die neuen Stellen wurden nur in einem geheimen Haushaltsgremium besprochen, nicht im Bundestag. Ziel der Anzeige war es daher, die Diskussion über den Inhalt der Stellen schnell abzuwürgen. Offen bleibt noch die Frage: Woher stammen eigentlich die Daten, die der BfV durchsuchen wollte?


Andreas Leps