Bericht über die 44. Bundesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bielefeld, 15.11. – 17.11.2019

von Enja Knipper, Vorstand BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weimar

Zuerst einmal die trockenen Fakten. Ein Parteitag besteht aus Hunderten Delegierten. Je nach Größe des Kreisverbandes stellt ein Kreisverband einen oder mehrere Delegierte. Da wir in Thüringen vergleichsweise wenige Mitglieder haben, stellen fast alle Kreisverbände, bis auf Erfurt, nur einen Delegierten. So, das war einfach zu verstehen. Komplexer wird es bei den Anträgen. Nennenswert sind hierbei die Leitanträge. Sie beinhalten mehrere Forderungen innerhalb eines Themenkomplexes. Die diesjährige BDK stellte Wohnen und Klima, Wirtschaft, Finanzen in den Mittelpunkt. Weiter gibt es sogenannte V-Anträge. Das V steht für „Verschiedenes“, aber es könnte auch für „Viele“ stehen. Über 50 V-Anträge standen zur Auswahl, die jedoch nicht alle abgestimmt wurden. Die Mitglieder durften bestimmen, welche 15 am Ende bearbeitet werden sollten. Beispiele für V-Anträge sind: „Mercosur stoppen.“ oder „Grüne Wasserstoffstrategie“, wobei der gesundheitspolitische V-Antrag in eine interne Expert*innen-Gruppe übertragen wurde, die sich näher damit beschäftigt. Ein zentrales Ereignis war die Wahl des Bundesvorstands und natürlich die Wiederwahl der Chefs. Ich möchte nicht spoilern, aber die Ergebnisse waren sehr gut. Des Weiteren wurden der Parteirat und das Bundesschiedsgericht gewählt. Viele Namen hatte man schon einmal gehört, aber ich möchte ehrlich sein: Einige kann ich nicht mal nach der Wahl zuordnen. Und wie auf jedem Parteitag gab es Reden von Mitgliedern oder Gästen. Außerdem wurden Satzung und Haushalt verabschiedet. Aber da man beim Lesen wach bleiben muss, machen wir mal mit anderen Themen weiter.

Als Neumitglied kannte ich Parteitage nur aus irgendwelchen Nachberichten oder etwa, wenn man mal aus Versehen phoenix eingeschaltet hat. Eine andere Perspektive einzunehmen ist eine ungewohnte Erfahrung. Wenn man sich die Erzählungen der abgebrühten, älteren Mitglieder aus vergangener Zeit anhört, scheint der jetzige Parteitag ziemlich öde, eintönig und langweilig. Es gab keine heftigen Attacken, null Aggressionen und kaum Konfliktpotential. Die einzig knappe Entscheidung - über den Umgang mit der Schuldenbremse - wurde von der unterlegenen Seite mit demonstrativem Verständnis über den Ausgang hingenommen. Ansonsten fällt mir kein Änderungsantrag ein, der gegen den Bundesvorstand angenommen wurde. Vielmehr noch: Die meisten Beschlüsse fanden bloß eine Handvoll Gegenstimmen. Natürlich war das absehbar, aber mit so einer großen Einigkeithabe ich nicht gerechnet. Am Samstag waren wir sogar eine Stunde früher, als vorgesehen, durch. Wenn wir nun wieder die Abgebrühten imaginär zu Wort kommen lassen, scheint es wirklich besonders, so gut in der Zeit zu sein.

Also haben wir zusammengefasst einen demonstrativ harmonischen Parteitag mit wenig Aussagekraft und vorhersehbaren Ergebnissen? Wenn es so wäre, könnten wir an dieser Stelle den letzten Satz einläuten.

Wie man sieht, habe ich noch ein paar Sätze weitergeschrieben. Der Logik folgend, sehe ich es also anders. Natürlich kann man alles negativ formulieren, wenn man irgendetwas „Kritisches“ konstruieren möchte. Die Erarbeitung von Kompromissen damit gleichzusetzen, sich vor Diskussionen zu drücken, halte ich für einen fatalen Trugschluss. Selbiges gilt für die Gleichsetzung von Einigkeit und Homogenität. Ein solch geschlossenes Auftreten ist Folge eines konstruktiven Diskussions- und Erarbeitungsprozesses einer vielfältigen Mitgliederschaft, die verschiedene Perspektiven einnimmt.

Es wurde deutlich, dass unsere Parteivorsitzenden eine solch große Unterstützung hinter sich vereinen können, wie es nie zuvor der Fall war. Und was für uns als Grüne noch viel wichtiger ist, als das Personal: Inhalte. Diejenigen, die uns mit einer monothematischen Ausrichtung in Verbindung bringen, sind mit der Zeitmaschine in vergangenen Zeiten hängengeblieben. Die großen Themen Wohnen und Wirtschaft wurden mit gleicher Leidenschaft angegangen, wie unser „Kern-Zukunft-Thema“. Wer jetzt immer noch behauptet: „Die Grünen: Die können doch nur ein bisschen Umweltpolitik. Wo ist das Soziale? Was ist mit derWirtschaft?“, der kann sich mal in Ruhe die Beschlüsse des Parteitags durchlesen. Die Ergebnisse haben gezeigt: Wir haben ein klares Konzept für Gegenwart und Zukunft. Dabei denken wir nie ein Thema isoliert voneinander. Die Abwägung zwischen Realismus und Radikalität ist keine unmögliche Aufgabe. Gerade der breite Konsens, der die Beschlüsse trägt ist doch der Beweis dafür. Und natürlich wurde auch diskutiert. Wie stehen wir zu Enteignungen? Aufhebung der Schuldenbremse? Ist der beschlossene CO2-Preis zu niedrig? Wie wollen wir mit der Wirtschaft zusammenarbeiten? Selbstverständlich ist auch richtig, dass viele Diskussionen noch nicht zu Ende sind. Sachlich ausgetragene Konflikte bringen unsweiter und sind die Vorzüge basisdemokratischer Politik und die Stärke unserer Partei. Gemütlichere politische Akteure müssen unter Druck gesetzt werden, um den Stillstand zu beenden. Mutige Entscheidungen als essentieller Grundstein für eine lebenswerte Zukunft müssen umgesetzt werden. Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen.

Zusammengefasst: Es war ziemlich spannend.